This story makes no money

ESZTER SALAMON: „DANCE FOR NOTHING“ UND „DANCE #2″


Von Mario Sud

In dieser Gesellschaft des Spektakels orientiert sich der Mensch an vorgefertigten, massenmedial verbreiteten Bildern und versucht, diese zu imitieren. Und je mehr er sich in den herrschenden Bildern wiederzuerkennen bemüht, desto weniger versteht er seine eigene Existenz, mit ihren jeweiligen Fragen und Bedürfnissen, so schreibt Guy Debord 1967 in seinem Buch „Die Gesellschaft des Spektakels“. Seitdem hat sich das Spektakel bis an die äußersten Ränder ausgebreitet und seine Dichte im Zentrum erhöht.



Das Spektakel ist das Spiegelbild des neoliberalen Kapitalismus, des freien Marktes, der sich nicht selbst reguliert, sondern sich nur selbst bedient. Dieses Spektakel treibt die Börsen vor sich her, und mittlerweile das Volk auf die Straße. „Haha!“ freut sich das Spektakel und klatscht in die Hände. „ICH!“, so schreit es und zeigt seine höchsten Sprünge und schnellsten Drehungen, glänzend und zweifelsohne beeindruckend: „Ich bin die einzig relevante Wirklichkeit. Sag ja zu mir, liebe mich, gehe in die Knie, werde wie Ich! Habe keine Angst! Ich verschlinge dich und du wirst glänzen und siegen wie Ich.“ Dass dieses paradiesische Versprechen sich nicht einlöst, erfahren wir gerade an allen Ecken und ohne Ende.



Wenn man dann im Kasino am Schwarzenbergplatz auf einer Seite der quadratisch angelegten Spielfläche sitzt und sich an einem Abend die beiden Stücke Dance for Nothing von und mit Eszter Salamon und etwas später ihren gemeinsam mit Christine De Smedt performten Dance #2 anschaut, wird man auf feinsinnige Art eingeladen, Distanz zu wahren. Man muss sich „seinen eigenen Kopf“ machen, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieser im Schwirren verschiedener Gedanken, Bewegungen, Worte und Ansichten, die sich immer wieder auflösen und neu zusammensetzen, ein wenig aussetzt.



Das Vergnügen, nichts zu besitzen



Man kann sich in der von Salamon rezitierten „Lecture about Nothing“ aus 1959 von John Cage in Überlagerung mit einem andauernden Bewegungsfluss, einem interessanten Rausch(en) hingeben und treiben lassen. Nein, man kann dem Gesagten nicht immer folgen, und die Bewegungen erleichtern das Verständnis keineswegs. Sie sind vielmehr eine lose Parallelführung, in der Salamon durch Wiederholung und eine nuancierte Differenzierung der Bewegungsansätze immer wieder neue Formen entstehen lässt. „Was ich Poesie nenne wird oft Inhalt genannt. Ich selbst habe es Form genannt. Es ist die Kontinuität eines Musikstücks. Kontinuität heute, wo sie notwendig ist, ist eine Demonstration des Desinteresses. Das heißt, sie ist ein Beweis, dass unser Vergnügen darin liegt, nichts zu besitzen.“ Das sagte John Cage in seinem „Vortrag über nichts“ und erfand eine ausgeklügelte Praxis, um sich nicht effektiven Affekten zum Fraß vorzuwerfen.



Heute bleibt man bei Salamons Dance for Nothing vielleicht gleich zu Beginn bei dem Nachdenken über die Zukunft hängen, das einem zur Zeit den Schlaf rauben kann (Wirtschaftskrise, Kürzungen des Kulturbudgets, Prekariat und steigende Lebenserhaltungskosten sind trotz der Bilder des Hungers in Somalia und der Protestbewegung im arabischen Raum, die das Medienspektakel täglich in die Wohnzimmer überträgt, keine Luxussorgen). Und vielleicht war so eine Schlaflosigkeit – wie Salamon am Anfang des Stücks, die vier Ränder der Spielfläche abgehend, erzählt –, der Grund dafür, dass sie sich damit beschäftigte, ihren Tanz und ihre Gedanken zu leeren („emptying my dance, emptying my head“). Dem Publikum bietet die Choreografin mit Cage auch gleich an, die Performance jederzeit verlassen zu können. Was an diesem Abend niemand tut, während sich auf der Spielfläche alltägliche Regungen als alltägliche Tänze in alltäglicher Kleidung formulieren.


Es ist keine hypnotische Verführung, eher eine meditative profane Beschäftigung, der man beiwohnt. „I have nothing to say and I say it and this is what I call poetry…“ und „…quiet sounds of lonelyness, love and friendship…“ tanzen da mit schwingenden Armen durch den Raum und entfalten flüchtige Figuren. Sie lösen sich auf, kommen in ähnlicher Form wieder, schlagen eine andere Richtung ein oder drehen sich um eine weitere, bisher nicht beachtete Achse.



Auch in Dance #2, etwas später am selben Abend, im selben räumlichen Setting: Dezentralisierung des Blicks und der Darbietung. Keine theatrale Überhöhung, kein intensivierter emotionaler Ausdruck. Humor und Ironie durch gewisse Distanz zu sich selbst, nicht als performter Kommentar. Allerdings folgt Dance #2 einem Spiel des unterschiedlichen Konstruierens und Formulierens. Die beiden Choreografinnen Eszter Salamon und Christine De Smedt sitzen zu Beginn einander gegenüber und reichen sich die Hand. Eine sagt: „I ask her.“ Sie wiederholen diese Worte immer wieder und verändern sie durch das Sprechen. „I asked her“ wird zu „icecube“ wird zu „bicycle“ und zu „slam“ und „islam“, wird zu „salami“ zu „missile“, „muscle“, und „mascarade“.



„Komm zu mir!“, tanzt das Spektakel



Im zweiten Teil setzten sie sich in verschiedenen Postionen zueinander in Beziehung, wobei immer Körperkontakt gehalten wird. Sie halten inne und lassen die Zeit vergehen. Nur der synchronisierte und rhythmisierte Atem der beiden Tänzerinnen ist zu hören. Eigenartige Atemapparaturen-Landschaften aus Beziehungskonstruktionen entstehen. Abstrakte Maschinen eines anderen Typus, menschlich und molekular zugleich. Der diesmal körperliche Dialog von Salamon und De Smedt sucht sich eine Präsenz und Form entlang der bekannten Bilder und Verhältnisse und konstruiert etwas „Nicht-mehr-Vertrautes“. Die Forderung nach Demokratisierung und Enthierarchisierung (der Bewegungen, der Formen, des Verhältnisses zwischen DarstellerInnen und Publikum), die schon in den ästhetischen Setzungen der Mitglieder des Judson Dance Theater und der Grand Union erforscht wurde, wird hier konsequent weiterentwickelt und aktualisiert. Die üblichen Schablonen, Zuordnungen, Interpretationsmodelle und Meisterschaften aller Art, wie sie in der Werbung, dem Fernsehen sowie in Tanz und Performance zu sehen sind, finden hier keine Anwendung. Es ist ein eher langsamer Prozess, eine Idee, die mehr und mehr vertieft wird. Eine sorgfältige, mathematische und nicht unbedingt bequeme, uneinheitliche, unheimliche, manchmal absurde Demokratie, die sich uns Zuschauerinnen darbietet.



Wie könnte Demokratie je etwas anders sein? Und warum sollte sie? Und man fragt sich, warum Nachrichtenkommentatoren sich genötigt fühlen zu erwähnen, dass es eben leider keinen „starken Mann oder Frau gibt“, um die Entscheidungsprozesse in der EU zu beschleunigen und zu klaren Aussagen zu kommen. Da scheinen sich wohl neue Prozesse mit alten Vorstellungsbildern und Erwartungen in die Quere zu kommen. Und Erwartungen, so wird suggeriert, sind da, um erfüllt zu werden. Erwartungen, die nicht erfüllt werden, könnten zu Irritationen führen. Und sich in unserer unsicheren Dienstleistungsgesellschaft mit Irritationen aufzuhalten, ist riskant. Lieber lassen wir es krachen, dann passiert wenigstens etwas. John Cage hatte noch leicht reden, damals vor der Globalisierung! „Langsam, während der Vortrag weitergeht, gelangen wir nirgendwo hin und das ist ein Vergnügen. Es ist nicht irritierend zu sein, wo man ist. Es ist nur irritierend zu denken, man wäre gerne irgendwo anders.“ So sagte er und schrieb es sogar, in einer sich wiederholenden Schleife, als Ende seiner „Lecture on Nothing“ nieder. Weswegen wir es nun wieder aus dem Mund von Eszter Salamon wieder und wieder hören konnten.



„Komm zu mir!“, tanzt das Spektakel in der Zwischenzeit durch die Stadt, „Ich bin die Lösung! Ich bin das Vergnügen!“ Wir BürgerInnen und ZuschauerInnen allerdings vergnügen uns schon einige Zeit hier im Kasino am Schwarzenbergplatz, rund um die viereckige Spielfläche. So können wir nicht nur die beiden Performerinnen betrachten, sondern auch uns als Publikum. Wir sehen, wie sich Salamon und De Smedt in den Ecken des Raumes im Übergang zum Zuschauerraum aufstellen und sich erneut befragen. Diesmal werden die einzelnen Silben der Worte mit Bewegungen verknüpft. In einer Art Gebärdensprache fragt die Eine die Andere: „What this story?“ und gibt die Sprache der Bewegung hin. Sie bauen ein System aus Silben und Gesten, dass sich mit jeder Aussage weiter transformiert. „Story“ wird zu „store“, „life“ wechselt mit „lie“, „goods“ verbindet sich mit „money“; „car“ und „lists“ zu „capitalist“. „This capitalist age stores goods.“ … „Money does lie.“ … „This story brings no money.“ … „Our life does our story.“ … „Our story makes mistakes.“ … „In this country income counts.“ … „Come and buy our country.“ Kapitalismuskritik als Konsequenz einer poetischen Praxis. Wir, die Zuschauer, lachen und sind zufrieden mit dieser List. Salamon und De Smedt allerdings haben dieser List freien Lauf gelassen und praktizieren sie immer weiter. Sie tun das mit großer Aufmerksamkeit, auch, als Silben und Gesten sich schließlich zu einer nicht mehr verständlichen Form verbinden. Diese listige Lust wird fremd, so schnell, dass man es kaum mitkommt. Wie ist denn das jetzt?



Andere Verbindungen führen zu neuen Zusammenhängen. Neue Zusammenhänge sind unverständlich. Was verständlich war, zeigt in Bewegung Unbekanntes. Unbekannt ist die Zukunft. Unverständlich ist die Form. Form ist in Bewegung. Sprache und Körper neu zusammen in Bewegung in die Zukunft ist Form in Bewegung ist unverständlich ist Zusammenhang ist unbekannt ist neu ist zur Zeit zu formen. Mit großer Aufmerksamkeit.


 (26.8.2011)