ANDRÉ TURNHEIMS “I PUT A RECORD ON” IM WIENER WUK
Von Bellis Schneewein
Spielanordnung nennt André Turnheim seine Bearbeitung von „Venus im Pelz“ und durchmischt in seiner Inszenierung „I put a record on“ die vor 140 Jahren entstandene Novelle des österreichischen Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch mit popkulturellen Formaten.
„Venus im Pelz“ sollte der erste Teil eines sechsteiligen Zyklus über die Liebe werden, den Sacher-Masoch jedoch nie fertig stellte. Die Novelle beschreibt die Windungen des Begehrens und erzählt von einem Mann und einer Frau, die ihre Gefühle zueinander verspielen. Es geht um Macht und Unterwerfung und um die sexuelle Lust, die aus diesen Mechanismen gewonnen werden kann. Die Sprachhaltung ist die einer Behauptung und Reflexion. Ein Mann erzählt seinem Freund, was ihm widerfahren ist.
Eine Besonderheit an diesem Text ist, dass die Frau jene Aussagen, mit denen weithin die Nichtgleichstellung der Frau mit dem Mann argumentiert wird, selbst als Behauptung aufstellt und durch diese Aneignung eine scheinbare Autonomie erlangt: „….merk‘ dir überhaupt, was ich dir jetzt sage: fühle dich nie sicher bei dem Weibe, das du liebst, denn die Natur des Weibes birgt mehr Gefahren, als du glaubst. Die Frauen sind weder so gut, wie ihre Verehrer und Verteidiger, noch so schlecht, wie ihre Feinde sie machen. Der Charakter der Frau ist die Charakterlosigkeit.“ [1]
Der Mann wiederum postuliert: „In der Liebe gibt es kein Nebeneinander. Sobald ich aber die Wahl habe, zu herrschen oder unterjocht zu werden, scheint es mir weit reizender, der Sklave eines schönen Weibes zu sein. Aber wo finde ich das Weib, das nicht mit kleinlicher Zanksucht Einfluß zu erringen, sondern ruhig und selbstbewußt, ja streng zu herrschen versteht?“ [2] Der von Sacher-Masoch beschriebene Lustgewinn durch Unterwerfung wird von Richard Krafft-Ebing mit dem Begriff Masochismus 1886 in die Psychologie eingeführt.
Masochismus als politischer Akt
Um den gängigen Vorstellungen zu diesem komplexen Phänomen etwas hinzuzufügen, sei ein Essay von Gilles Deleuze erwähnt, der in den Aktivitäten des Masochismus einen politischen Akt sieht. Entgegen dem Sadisten nach Marquis de Sade, der die Welt nach Vorgaben einer universellen Institutionalisierung von Strafe und Prostitution geregelt wünscht, ist der Masochist durch eine vertragliche Bindung mit seiner Herrin darin übereingekommen, Anwendungen nicht zu totalisieren. Die Lusterfahrung des Masochisten ist so nicht (wie bei de Sade) die einer Durchsetzung seiner Ideen in der körperlichen Welt, sondern gerade die Verhinderung einer Übersteigung der körperlichen Erfahrung hin zum universalisierbaren Prinzip. [3]
Über unsere Triebe werden wir am leichtesten manipuliert. Deleuze entkoppelt das Begehren von körperlicher Lust und, was vielleicht noch wichtiger ist, vom Prinzip des Mangels. „Es gibt ein dem Begehren immanentes Vergnügen, so als ob das Begehren von sich selber und seinen Kontemplationen erfüllt würde, und dieses Vergnügen impliziert keinen Mangel und keine Unmöglichkeit, es wird auch nicht an der Lust gemessen, da es die Lustintensitäten verteilt und sie daran hindert, von Angst, Scham oder Schuld durchdrungen zu werden.“ [4]
Deleuze transportiert den Masochismus aus der Patologie zu einem politischen Programm, in dem man sich seine eigenen Unterwerfungsmechanismen wählt und diesen dient, anstatt sich der regulativen Macht einer Institution zu Füßen zu werfen.
Macht durch Schönheit und Sexappeal
André Turnheim jedoch bezieht sich hauptsächlich auf Dominanz und Unterwerfung zwischen Mann und Frau und stellt konstruierte Geschlechterrollen und deren Auflösung zur Schau. Was kein leichtes Unterfangen ist, denn die Lust, „von einem schönen Weib“ beherrscht zu werden, ist eine weitere männliche Fantasie, auch wenn diese in gewisser Weise patriarchale Machtstrukturen zu unterwandern sucht. Macht durch Schönheit und Sexappeal ist ein Regime, dass Frauen nur zu gut kennen. Es war und ist immer noch ein wesentlicher Faktor, durch den Frauen Macht überhaupt zugesprochen und gegeben wird.
In „I put a record on“ öffnen Songs aus den 80ern unterschiedliche atmosphärische Räume des Begehrens. Sie werden einer nach dem anderen gespielt. „Girls who are Boys / Who do Boys like they’re Girls / Who do Girls like they’re Boys.“ [5] Poppiges Spiel der Geschlechter in leidenschaftlichem Neon: „All tainted love tainted love / don’t touch me please I cannot stand the way you tease / I love you though you hurt me / now I’m gonna pack my things and go.“ [6]
Die Texte der Lieder mischen sich ins Spiel und fordern zum Tanz auf. An den Spielregeln ist allerdings nicht zu rütteln: der Mann will sich unterwerfen und sucht sich hier seine Herrin. Er bildet seine Meisterin aus. Er überredet sie, die Kontrolle zu übernehmen. Sie willigt ein und macht sich ihm zum Untertan: „You smother my will / To make me behave / I’m drugged on your love / To make me your slave / You love with a passion / But I’m swallowed by your desire.“ [7]
Die potentielle subversive Tragweite der Thematik blitzt an den Rändern der Inszenierung auf: im minimalen Setting, das an eine Versuchsanordnung erinnert. Oder im Einsatz des sehr gelungenen Aufbrechens und Rhythmisierens der Sprache, die zum Schluss vom Schrei zu einem kläglichen Lied wird.
Anna Mendelssohn und Peter Pertusini bewegen sich geschickt durch eine Vielzahl sexueller Bildproduktionen ohne Klischees völlig zu bedienen. Sie strahlt in süßer Distanz, er übt sich in (manchmal grotesker) Hingabe.
Ménage à trois
Zugleich ist dieses Spiel von Macht und Unterwerfungen in der regelmässigen Hinwendung zum Publikum eine illustre, teils bizarre Ménage à trois. Das Publikum ist die eigentliche Herrin, der gedient werden will. Turnheim treibt diesen Aspekt auf die Spitze, indem er seine beiden DarstellerInnen gegen Ende als Dancing Stars antreten läßt. Sie präsentiert sich in Posen, er in irrwitzigen, sich auflösenden Verrenkungen. In diesen Verrenkungen verselbstständigt sich eine verzweifelte Schamlosigkeit und lässt eine berührende Schonungslosigkeit entstehen. In einer anderen Szene, wenn Mendelssohn Pertusini lockt, indem sie sich einen Teller mit einem Grillhuhn vor den Schoß hält, das sie ihm schlussendlich brutal in den Mund stopft, entsteht eine flirrende Intimität zwischen den beiden. Nahrungsbedarf und -aufnahme. Lust. Mund, Lippen, Zungen, Zähne, lecken, knabbern, beissen, Berührung und Einverleibung. Sämtliche Register kommen hier in Bewegung und lassen etwas aus der Kontrolle geraten.
Einmal eingenommene Positionen verschieben sich – wie in Sacher-Masochs Novelle auch – nur in unauffälligen Zwischenräumen. Erst als jemand anderer ins Spiel kommt, kann die zugewiesene Dominanz ins Wanken geraten. Und noch einmal, durch die Inszenierung der Szene nach der Show, als Szene in der Show, wird das Publikum ausgewiesen, der direkte Adressat. Auch die Möglichkeit, der Andere könnte eine Sie sein, wird einen Moment lang behauptet.
Eigentlich haben die Liebe und das Begehren, das Wandelbarste im wandelbaren menschlichen Dasein [8], die Möglichkeit, Positionen und Identitäten zu verwandeln und könnten, so möchte man hoffen, Positionen von Macht und Unterwerfung flexibel gestalten. Als Spiel. Auch wenn es kein leichtes Unterfangen ist.
Fußnoten:
[1] Leopold von Sacher-Masoch, „Venus im Pelz“. Feedbooks | Food for the mind, S. 46.
[2] ebd. S. 21.
[3] http://sammelpunkt.philo.at:8080/1132/1/Guenzel_Deleuze.pdf
[4] Gilles Deleuze, Felix Guttari, „Tausend Plateaus“. Berlin: Merve Verlag 1992, S. 213.
[5] Songtext von Blur, „Girls & Boys“.
[6] Songtext von Marc Allmond, „Tainted Love“.
[7] Songtext von Marc Allmond, „Caged in the Prison of Love“.
[8] Leopold von Sacher-Masoch, „Venus im Pelz“. Feedbooks | Food for the mind, S. 18.
(05.05.2010)