Kilian Jörg über which zones von Sabina Holzer / cattravelsnotalone
Die Stoffe der Moderne sind alt geworden, und trotzdem haben wir nichts Neueres zur Hand. Beim Betreten der künstlichen Aluminiumwelt von Sabina Holzers which zones im Studio 3 des TQW ist man mit diesem schon irgendwie alt gewordenen Schillern des ideenhaften Hauchs der besten aller Welten konfrontiert.
Die Versprechen der Moderne einer glatten, verfügbaren Welt liegen teils zerknittert, teils in gleichzeitig einladenden wie abstoßenden Medusenformen am Boden verteilt. Als unheimliches Kippbild wirkt dieses Miniversum wie eine verheißungsvolle Glitzerwelt und ein kaltes Totenreich zugleich. Der Körper der Performerin scheint hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Polen. Schrill, fast panisch lachend erfreut sich das manchmal tierisch erscheinende Wesen, welches Sabina Holzer darstellt, über die prismenhaften Spiegel der Aluminiumwelt. Ruckartig unentschieden schnellen ihre Beine, Arme, Hände, der Kopf und der Rumpf in immer neue Formationen. Verpackung von buddhistischen Opferschalen, Bierdosen, Eiscreme, Covid-Tests und „Natural“ Chips liegen unterschiedslos zusammen. Gleichzeitig dämmert dem Körper stets die Erinnerung, dass es doch nicht gänzlich ein organloser Körper sein kann, der da zuckt.[1] Ohne fühlbaren Raum fordert eine organische Ordnung etwas ein, das in dieser Welt der reflektierenden Glattheit keinen Halt findet: ein zuckendes Tier-Werden, Fläche-Werden, Disco-Werden, Medusa-Werden, Wand-Werden, der Versuch eines Ausbruchs, der sich in dieser Welt vielleicht gar nicht selbst erkennen will. In einer Art repetitiven Rituals schält sich aus dem performativen Körper die Erinnerung an einen logos, eine „menschliche Vernunft“ – dann richtet sich die Wirbelsäule gerade auf und fragt die in titanischem Aluminiumkleid schreibende Elisabeth Schäfer immer wieder höflich: „Na?“ Die gleichbleibende Antwort darauf: „Super!“ Die Worte rutschen ab an ihrem materialisierten Freiheitsversprechen. Es ist super, unheimlich super.
Ein großer Teil des Lichts im Raum stammt von Beamern, deren Projektionen in schier unendlichen Aluminiumfalten an die Wand gebrochen sind. Wie ein Flüstern des Geheimnisses ihrer Produktionsbedingungen werden die Glattheit verheißenden Bilder verzerrt und zeigen unfreiwillig die Komplexität der Welten hinter ihrer Strahlkraft. „Hallo Alu, where are you coming from?“ ist eine in Menschenzunge unbeantwortet bleibende Frage der Performerin. Cut, Cut, Cut – überall wird geschnitten und gebrochen in der Welt, in der sich unbeabsichtigt viele reflektieren. Die rote Erde der Karibik, die primitive „Dritte Welt“, die laut Mimi Sheller hinter den Fortschritt signalisierenden Formen der stromlinienförmigen Effizienz versteckt werden, die Vergiftung hinter der Reinheit und Sauberkeit – all das blitzt hier ungesehen auf.[2] Unsanft liegt es auf der Zunge, irgendwo zwischen dem tiefen Bass und dem Knistern der Alufolie, welche Holzer mit seeehr freundlichem Lächeln (eine Verheißung transhumaner Orgien?) dem Publikum reicht.
Aluminium ist in Masse vorhanden, die allerdings stets messy ist: Das dritthäufigste Element der Erde ist „extrem reaktionsfreudig“, verbindet sich spontan und überall. Gegen diese dreckige Widerspenstigkeit hat die Moderne gigantische Dämme überall in der Welt hochgezogen, um das Aluminium in Reinform zu zwingen. Ungeheure Mengen an Strom verbieten acht Prozent der Erde die von ihr begehrten Reaktionen. Die Klänge des Krieges, der Ausbeutung und Vertreibung der anderen Lebenden werden in „zweite“, „dritte“ und „vierte“ Welten abgeschoben – wie bestialische Rechenoperationen, die unter der glatten Oberfläche nur scheinbar leise ticken. Die so von global umspannenden Drähten gehemmten Reaktionen tragen vor sich den ätzenden Duft der einen großen Reaktion, die man hinauszögernd hervorbringt. Die menschliche, nicht-mehr-nur-menschliche Assemblage, die Sabina Holzer mit beeindruckender Präzision darstellt, weiß: Der Damm wird brechen, ist vielleicht schon gebrochen. Die reaktionsfreudige Metastabiltiät des Holozäns hat durch zu viel Sauberkeitsgelüste ihr Gleichgewicht verloren.[3]
Mit einer Stimme, die dem Ultraschall nahekommen will, beklagt Holzer die kommende Abwesenheit der Wälder, Tiere, Schmetterlinge, Mangofrüchte und Bienen. All das sei „not cool“. Doch die definitiv coole Aluminiumwelt schillert unbeeindruckt im Hintergrund weiter. Muss der menschliche Körper nun wirklich all die ausgestorbenen Ethologien eines ehemals pluralistischen Multiversums in der kalten Aluwelt übernehmen? Kann er das? Sabina Holzer erforscht diese Fragen und vereint die Doppelbödigkeit unserer an der Kippe stehenden Welt als eine Offenheit ermöglichende Immersion. Ohne auf die Verlockung der überall ausgebreiteten einfachen Antworten hereinzufallen, bleibt Holzer unruhig,[4] extrem reaktionsfreudig und findet zum Schluss ganz casual zum Lichtschalter und zum Fenster. Das Fenster wird geöffnet, normales Abendlicht strahlt plötzlich in diese vibrierende Kunstwelt herein. Ist es ein Ausweg oder ein Schaukasten auf das, was wir zumeist nicht sehen wollen in unserer künstlichen Normalität? Bei Sabina Holzer trifft Inhalt Form und Form Inhalt – und genau weil diesen Reinheit und Klarheit suggerierenden Trennungen mutig zum Zusammenbruch verholfen wird, zeigt sich ein Weg ins Offene dahinter an. Unter den Zukunftserden wird es immer ein wenig silber-glatt schillern.
[1] Für Gilles Deleuze und Félix Guattari (Tausend Plateaus, 1980) besteht immer eine Spannung zwischen Organismus und organlosem Körper (oK). In jedem Organismus schlummert ein Begehren nach einem organlosen Körper, welches oft Freiheit suggeriert. Gleichzeitig warnen Deleuze und Guattari: Man kann sich dem oK immer nur langsam, in der richtigen Dosis nähern, sonst droht der Organismus zu mutieren, von Mikrofaschismen übercodiert zu werden oder schlicht sich gegen sich selbst zu richten.
[2] In ihrem Buch Aluminum Dreams (2014) zeigt Mimi Sheller, dass Aluminium nicht nur ein zentraler Baustoff der materiellen Kultur der Moderne ist, sondern genauso auch ihres Imaginärs von Fortschritt, Freiheit und Reibungslosigkeit. Laut Sheller kreiert diese schillernde Aluminiumwelt allerdings zeitgleich und in ungesehener Co-Abhängigkeit eine „primitive“ Welt in der Karibik und anderen Zonen des globalen Südens, welche als „wild“ und „unzivilisiert“ für die Ausbeutung der sogenannten „entwickelten Länder“ ideell freigegeben wird.
[3] Die kanadische Philosophin Alexis Shotwell analysiert in ihrem Buch Against Purity (2016), dass entgegen der modernen Intuition Reinheit und Sauberkeit nicht die Lösung, sondern einen Grundpfeiler der gegenwärtigen sozio-ökologischen Toxizität der Umwelt ausmachen. Sich rein und sauber zu halten von der überall in die Menschenwelt hereinbrechenden Toxizität stellt demnach eine Kontinuität mit ausbeuterischen Praktiken her, welche es eher als unlösbar zu durchleben gälte, im Sinne vom Donna Haraways Staying with the Trouble.
[4] Unruhig bleiben ist die (von Karin Harrasser eingeführte) deutsche Übersetzung von Donna Haraways schwer zu übersetzendem, mittlerweile berühmtem Diktum und Buch Staying with the Trouble (2016).
Kilian Jörg arbeitet sowohl künstlerisch als auch philosophisch zum Thema der ökologischen Katastrophe und wie deren transformative Kräfte am besten gedacht und eingesetzt werden können. Bisherige Veröffentlichungen handeln von Clubkultur, dem politischen Backlash aus ökologischer Perspektive und einer spekulativen Religion der Verschwendung. Zur Zeit forscht er am SFB Affective Societies der FU Berlin zum Auto als Metapher unserer toxischen Verwobenheit mit modernen Lebensweisen. kilianj.org. Kilianjoerg.blogspot.com