Erinnerunge zum Abschied

You’re such a beautiful freak / I wish there were more just like you / You’re not like all of the others
And that is why I love you / Beautiful freak, beautiful freak / That is why I love you /
Beautiful freak, beautiful freak
Some people think you have a problem / But that problem lies only with them /
Just cause you are not like the others
But that is why I love you / Beautiful freak, beautiful freak / Yeah that is why I love you / Beautiful freak, beautiful freak
Too good for this world / But I hope you will stay / And I’ll be here to see that you don’t fade away[1]
 
Daniel Aschwanden ist gestorben. Worte. Daniel ist gestorben. Jack hat mir gestern im Burggarten die Nachricht überbracht. Wir sitzen im Schatten auf einer Bank. Es dauert, bis diese Nachricht ihre Weite entfaltet. Sie tut es immer noch.
Daniel ist gestorben. Das letzte Mal habe ich ihn Anfang April bei toZOMIA[2] getroffen. Zufällig und auch nicht. War doch toZOMIA einer der vielen Orte, die Daniel mit aufgebaut hat. War der aktuelle Ort, mit dem er gerade viel Zeit verbrachte. Gerade musste wieder ein Umzug vorbereitet werden. Diesmal aber mit denselben Leuten und zu einem Ort – gleich ums Eck –, an dem sich alle Bewohner*innen einen soziokulturellen Kunstraum im Haus wünschten – einen Raum als Plattform von widerständigen Praktiken für Kunst und Leben. Sie sind willkommen dort. Er erzählte auch kurz von den Entwicklungen des Angewandte Performance Lab (APL) an der Universität für angewandte Kunst Wien, wo er die letzten zehn Jahre unterrichtet hat. Ich freue mich, ihn zu sehen.
Daniel, der mir mit seiner Unermüdlichkeit ein Vorbild ist. Irgendwie bin ich auch stolz auf ihn. Weil er sich immer wieder dem Tanz zuwendet. Weil er immer noch jeden Tag einen Kopfstand macht. Weil er sich nicht scheut, das Prekariat zu performen. Irgendwie habe ich erst über die Jahre verstanden, was für ein radikaler Performer er ist. Weil Performance bei ihm etwas von Poesie, Verdichtung und Zerstreuung ist. Performance, um etwas zu berühren. Anerkennung und Erfolg sind in diesen Momenten sekundär. Es geht um etwas anderes. Performance als Möglichkeit, um über etwas nachzudenken. Performance als andere Form von Politik. Eine andere Verhandlung als die, die er in seinen vielen Positionen und zuletzt in der Wiener Perspektive[3] eingenommen hat.
Ich gehe zu toZOMIA. Wollte dorthin gehen, wo ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Der Versuch, etwas Unbegreifliches zu begreifen. Die Trauer geht eigenartige Wege

aktivität ungebeugten denkens auf der suche nach einer anderen weise des   kunstmachens. auf der suche nach deren wirksamkeit. eine ungebrochene neugierde und  das immerwährende aufbegehren, wenn zum hundertsten mal die bekannte geste  versucht, die existenz- und artikulationsberechtigung zu marginalisieren, und zugleich sich
gierig die formulierungen und argumente einverleibt.

viele gemeinsame diskussionen um kulturpolitische fragen, um räume, auch termine mit   
der politik. ein fast eingespieltes team (gemeinsam mit den anderen), auch ein wissen
um die argumente des anderen. aber darum ging es unseren
gesprächspartner*innen der politik nicht, um unsere argumente.

das training unabhängigen denkens in der kombination naheliegender fakten, deren verbindung und folgerung, auf der suche nach weitreichenden alternativen und verbesserungen, durch hintergründe und für neue und alte generationen.
werke oder netzwerke. sein werk, viele netz-werke.
verbindungen zwischen verschiedenen feldern, menschen, institutionen und kulturschaffenden der stadt.
wann? ja, doch! kennengelernt in dresden 1999, festspielhaus hellerau, akademie für medienkunst. dann in wien. ich besuche ihn bei einer probe, ich erinnere mich noch an deine roten schuhe, ich mich nicht.
 
Daniel. Urbanist, Performer, Künstler. Das bedeutet auch: ausgesetzt zu sein. Auf dem begrünten Verkehrsstreifen zu performen, am Rande der Baustelle, unter der Brücke. Passant*innen als Publikum. Daniel bewegt sich „profan“ zwischen Ritual und Performance, zwischen An- und Abwesenheit.
Jack Hauser wurde von Daniel gefragt, einen Text zu seinem sechzigsten Geburtstag zu schreiben. Dieser beginnt mit einem Zitat aus Michael Taussigs Feldforschungsnotizbüchern: Lassen Sie mich diesen merkwürdigen Ort hervorheben, an dem das Ungeschriebene aufgrund des Geschriebenen gedeiht. Dies ist der Ort der Bergung, auf den uns Genet verweist, und er gleicht Didions Notizbuch oder dem Tagebuch eines Anthropologen. Dort lassen sie die „Bilder der Sprache“ überwintern wie die Geister der Toten. Haben nicht alle Schriftsteller ihre Schutzgeister? Die Bilder müssen, wie Roland Barthes’ „Zwischenräume der Erinnerung“, gleichsam ins Exil, in die Wüste gehen, wo wir nach ihnen suchen müssen. Geister – ich meine Bilder – kommen nicht einfach so, jedenfalls nicht für uns. Man muss am Gespenst zerren.
 
jack smith. nackt oder halbnackt hängt er irgendwie im raum, später im matrosenanzug. bühne der halle G. ein sehniger, muskulöser körper, den er gerne auch nackt zeigt. ich habe ihn mehrmals nackt gesehen oder aber in unterhosen, und da war er immer viel kräftiger, als er mit kleidung aussah, durchtrainiert.
diskussionen und geteilte anliegen über die entscheidungsräume und handlungsräume von künstler*innen in dieser stadt, der unbedingte wunsch, mitentscheiden und gestalten zu können, wie man kunst gemacht haben will.
frau bosse, können sie nicht dem herrn aschwanden sagen, er soll von dieser verkehrsinsel verschwinden? wissen sie, wenn die blauen gewinnen, ist doch alles viel schlimmer. das alte totschlagargument der sozialisten. dialoge und gespräche als form des protests auf einer verkehrsinsel vor dem friedrich-schmidt-platz. es war die zeit um die gemeinderatswahlen, begleitet von einem brief an den damaligen kulturstadtrat. es ging um den innovationsbegriff der förderwürdigkeit, wo er in allen kriterien entsprach, und den umgang mit der (alters-)armut der künstler*innen. so saß er im straßenverkehr vor dem fenster des kulturstadtrates und der MA7, machte eine „arbeitsdemonstration“ und diskutierte mit verschiedenen gästen gegen die ignoranz im umgang mit künstler*innen (und insbesondere mit ihm). the working poor. ich war eine der eingeladenen. der kulturstadtrat besuchte ihn schließlich auf der insel zum gespräch.
eine position suchen, um eine stimme zu behalten und sich frei zu artikulieren, als künstler*in in dieser stadt. eine unabhängigkeit behaupten gegenüber den förderungssummen, die künstlerischen ausdruck ermöglichen.
 
Daniel und die Notwendigkeit der Autonomie. Die Notwendigkeit, diese wieder und wieder einzufordern. Obwohl das mittlerweile ein anachronistisches Wort ist, möchte ich es doch hier anwenden. Es auf seine Zukunftsfähigkeit prüfen. Autonomie war für Daniel nie Solipsismus. Denn immer hat er mit anderen zusammengearbeitet, war vernetzt, hat sich eingesetzt. Autonomie war hier eine zutiefst kritische und sensible Position gegenüber Machtgefügen. War Forderung und beständige Übung von Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit. Sich dafür einzusetzen. Dafür zu kämpfen. Zu kämpfen. In dem Versuch, sich freizuspielen von den Abhängigkeiten von Fördergebern, den Abhängigkeiten von Veranstalter*innen. Daniel und die dringliche Behauptung, dass Kunst mehr ist, dass Performance mehr ist als die Anerkennung von diesem gesellschaftlichen Segment. Daniel, der symbolisches Kapital einsetzt in Solidarität für andere. Daniel, der aufbegehrt bei Absagen. Das heißt nicht, dass sie ihn nicht verletzen, zerschmettern. Dass ihm nicht die Kraft ausgeht. Aber er macht weiter. Erfindet sich neu. Wieder und wieder. Er wird auch immer weiter. Ruhiger. Manchmal auch trauriger, schattiger.
 
wie kannst du nur in diesem keller arbeiten. er war wütend auf mich, wie ich als teil der freien szene und nach empfindlichen kürzungen unserer förderung diesen raum als neues headquarter von theatercombinat akzeptieren kann. du brauchst ganz andere räume. die freie szene darf das nicht akzeptieren. ich war beschämt und erklärte warum.
viele netzwerke, auch viele brüche, abbrüche von verbindungen, bruchstellen, damit wieder neue entstehen können. vielleicht.
 
24-Stunden-Performance in der Alpenmilchzentrale. Daniel liegt am Boden. Halb am Rücken, halb zur Seite. Sein Körper fließt von einem kleinen Podest in den Boden. Neben seinem Gesicht steht eine kleine Schale Wasser mit einem Löffel. Daniel liegt ganz still. Nur Atem. Hin und wieder wendet er den Kopf, greift zu dem Löffel und gießt sich Wasser über die geschlossenen Augen. Kleine Sturzbäche von Tränen. Damals habe ich mich zu ihm gesetzt und mitgeweint. Über diese berührte Unberührtheit. Diese Kraft. Diese Zartheit.

eine „russenparty“. ein tisch neben dem eingang mit eingelegtem gemüse in einem einmachglas und fisch aus der dose. wodka. eine riesige wohnung im dritten bezirk, in einem der zimmer ein bett aus velours, rund, grün, blau oder braun?
wir tanzten in einem der zimmer.
als der nordbahnhof noch stand und wir beide aktiv in der wiener perspektive waren, kam der moment: ich wollte nicht mehr. ich dachte, wir verlieren unsere politische kraft. daniel überzeugte mich, dass wir diese veränderungen aushalten müssen und einen langen atem benötigen. er hat recht, wobei der lange atmen ohne seinen atem um ein vielfaches schwieriger ist.
er hatte einen langen atem, der für diese 62 jahre reichte, wenn auch manchmal atemlos oder zerquetscht davon, dass der ort ihm nicht zuerkannt wurde, den er für sich beanspruchte. aus der förderung geworfen, von unqualifizierten menschen bewertet. der grundlagen der künstlerischen umsetzung beraubt. daraus entstand stets eine neue wendung. aber die wendemanöver waren sicher kraftraubend, aufreibend. um diesen ort des freien produzierens in und mit der stadt zu behaupten, ja sich immer wieder zu erobern. er tat es und weitete die aktionsräume aus: in die lehre, an die universität für angewandte kunst, welche für ihn in den letzten jahren eine wichtige basis, ein aktionsraum wurde, und an die peripherien der stadt, nach asien, nach china, wohin ihn viele arbeitsreisen führten. nach afrika. in verschiedenen kooperationen.
experimente ins offene.
dazwischen immer wieder diskussionen über andere finanzierungsmodelle, über neue räume in stadtentwicklungsgebieten und eine andere verpflichtung der stadtgesellschaft gegenüber der finanzierung von kunst. aspern.
 
Daniel hat mich am Ende der 90er-Jahre von Amsterdam nach Wien geholt. Erst für eine Festwochenproduktion, dann um mit den Bilderwerfern[5] zu arbeiten. Ich hatte einen Zweijahresvertrag. Er wollte uns so lange anstellen, wie es nötig war, um im Anschluss ein Recht auf Arbeitslose zu haben, um weiter künstlerisch arbeiten zu können, falls wir keine Subvention bekommen. Damals war Daniel „groß“ und gut gefördert. Das war vor dem Tanzquartier. Damals begann die Selbstbehauptung und Selbstermächtigung der freien Szene. Ich kam von Amsterdam auf Besuch nach Wien und war sehr beeindruckt, dass die Künstler*innen hier direkt mit den Politiker*innen sprechen, beeindruckt von der Choreograf*innenplattform und den wirklich unzähligen Diskussionen. Das Organisieren der Beiräte. Daniel hat immer mitgewirkt, -gekämpft; mich während der Zeit der Bilderwerfer überallhin mitgenommen. Damit ich die Zusammenhänge sehe. Damit ich sprechen lerne. Damit ich auch als Performer*in meinen Platz behaupte. In dieser Zeit hat er der Performancegruppe Lux Flux einen Teil seiner Förderung gegeben, damit sie weiterarbeiten konnte. Sein Zorn, dass Ressourcen nicht freigegeben wurden, dass die freie Szene mit einem Hungerlohn abgespeist wird, war riesig. Das war ihm eigentlich unerträglich. Er setzte alles daran, das diese Kunstform in ihrer Flüchtigkeit, ihrer Prozesshaftigkeit Bestehensrecht hat. Das forderte er politisch. Und das forderte er auch für sich selbst.
 
1998, oder war es 1999, als ich gemeinsam mit josef szeiler im schlachthof st. marx arbeitete und deshalb nach wien kam – ich glaube, es war herr stöphl oder peter marboe direkt, sie wollten uns bei einem termin mit dem kabelwerk-projekt zusammenspannen. hubsi kramar und daniel versuchten gemeinsam, das kabelwerk als experimentellen ort in meidling für die szene zu öffnen. wir wollten nicht. wir wollten damals keinen festen ort, sondern nomadisch bleiben und im schlachthof arbeiten. in den großen hallen des kabelwerks habe ich verschiedene performances gesehen, eine von lux flux. man saß, glaube ich, im kreis um eine spielfläche, eine wodkaflasche wurde durch die reihe der zuschauer*innen gereicht. inge kaindlstorfer, jack hauser, katherina zakravsky, oleg soulimenko. dann der umbau der räume für peter steins faust-inszenierung für die festwochen, der experimentelle freiraum schrumpfte, später dort der wohnbautraum mit kunstresten.
verständige stimme des immer-wieder-denkens anderer positionen in der kunst. ich habe sie im ohr, sie spricht mit mir.

Eine Woche vor der Premiere mit den Bilderwerfern im Kabelwerk. Wir haben Proben. Es gibt noch viel zu tun. Daniel ist nicht da. Yosi Wanunu[6] auch nicht. (Sie waren über Jahre ein kongeniales Team.) Wir versuchen, sie zu erreichen, aber erreichen niemanden. Wir sind sauer. Beunruhigt. Zwei Stunden später kommt Daniel strahlend, schwebend. Sein Sohn Gillian wurde geboren. Yosi kommt noch zwei Stunden später. Auch sein Sohn Jonas wurde geboren. Unvergesslich, diese glühenden Männergesichter, ihre Erregung. Wie sie versuchen, uns von der Unfassbarkeit der Geburt zu erzählen. Unvergesslich, diese Arbeit und was alles darin Platz hatte, – oder haben musste.
 
wir organisierten gemeinsam als teil von wiener perspektive spaces[7] (daniel, yosi wanunu und ich) eine erste artist commons konferenz. in den räumen des belvedere 21 und im ausweichraum des künstlerhauses im 5. bezirk. eine konferenz als experimentelles denken über nonpekuniäre ressourcen in der stadt. wissen, infrastrukturen und räume. wir laden die leiter*innen großer und kleinerer institutionen ein, mit uns zu diskutieren, wie sie ungenutzte ressourcen der freien szene zur verfügung stellen könnten. zusammenkünfte, um ein bewusstsein zu erlangen, was wie anders – auch über die klüfte zwischen der freien szene und der sogenannten hochkultur – geteilt werden könnte, als gegenseitige erweiterungen und bereicherungen. damit andere häute und berührungen entstehen könnten. als andere ökologie in der kunst.
später drehen wir drei einen film, eingeladen zu einer ausstellung ins neu eröffnete künstlerhaus am karlsplatz – anmerkungen zur unverständlichen aufgabe des künstlerhaus-theaters erspare ich mir hier –, wir stehen mit einer beschrifteten tafel vor den großen institutionen und erklären die orte zu artist commons. mit rot, gelb, orangener mütze verlesen wir unser artist commons manifest – und imaginieren, die jeweiligen architekturen umkreisend, mögliches oder anderes zusammenarbeiten mit den vorhandenen ressourcen, dem wissen und der politik. für eine andere kunst. daniel kritisierte dabei, dass wir die anderen orte, die nichtsymbolischen, draußen ließen, wir müssten auch andere orte, an den rändern der stadt, einbeziehen. er hatte recht, aber ich hatte zu wenig zeit.
 
Now waves of roses are blanketing memory, but childhood’s desire to enter time’s core remains. Nothing is stirring. Grass grows differently than words. In those roses infinity’s infinity.
The wish to inhabit storms leads to cities in flames. Traces turn into signs and thinking precedes itself in the deep recesses of the brain. Bodies are always naked under their clothes.[8]
 
zuletzt war er nicht bei den treffen der wiener perspektive und fehlte mir, sagte nicht immer ab, was ungewöhnlich war. als ich ihn dieses jahr traf, begründete er seine abwesenheit mit dem umzug des projekts toZOMIA an einen neuen ort. es gab probleme mit den vermietern. er war sehr schlank, schlanker als sonst, und die neue schwarze brille täuschte vielleicht über veränderungen hinweg. in unserem bereich akzeptieren wir die erschöpfung, die uns alle mal erwischt in der verteidigung unseres kunstschaffens. es betrifft und betrübt mich, dass seine krankheit und sein verschwinden sichtbar und zugleich unsichtbar waren. er war ende februar geknickt, weil ein freund starb. aber es war wohl auch das umgehen mit der eigenen krankheit, die er verweigerte, öffentlich zu performen. das recht auf den eigenen körper. ich weiß auch nicht. ich bin traurig und ein wenig verloren und nachdenklich darüber, wie wir …
jetzt erst im erinnern wird mir bewusst, was mir selbstverständlich erschien und was ich schmerzlich missen werde. selbstverständlich, weil es in bestimmten situationen völlig klar war, dass daniel dabei war und dies unterstützen würde, er war selbstverständlich in meiner welt und unserer kulturpolitischen agenda, auch wenn wir manchmal anderer meinung waren. und das ist mein großes versäumnis, dass ich diese unausgesprochene allianz angenommen habe und mich berufen durfte, in meinem denken, in meinem so-in-der-stadt-sein; mich auf seine expertise und seine einschätzung berufen konnte und ihn fragen, mit ihm diskutieren. aber es ist nicht selbstverständlich. nein. es ist besonders und außerordentlich, ich muss ehrlich gestehen, es war mir einfach nicht klar. und das macht mich traurig, weil ich es in seiner besonderheit nicht zum ausdruck brachte. sondern annahm, dass dieses vertrauen und dieser einsatz da sind und mich immer begleiten würden, und übersah, welche kraft in dieses selbstverständnis eingebracht wurde. bei unserem letzten privaten treffen kurz nach seinem 62. geburtstag im februar betonten wir, man müsse auf sich und aufeinander aufpassen. mmh. aber wie?
ich liege im wasser auf dem rücken und sehe den wolken zu, wie sie sich bewegen, vorbeiziehen und sich absetzen in diesem milchigen blau. dann eine kleinere wolke darunter, sehr leicht, sie zieht in die andere richtung. adieu …
 
Ich grüble und überlege wieder und wieder, warum hat Daniel fast niemanden von seiner Krankheit erzählt? Vielleicht wollte er kein Mitleid. Das wollte er niemals. Wohl auch eine Seite der Selbstbestimmung. Er hat Gegebenheiten angenommen und sie in Kunst übersetzt. Er hat, nachdem ein von mir geliebter Mensch und gemeinsamer Kollege sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten hat, mir das Wort „Freitod“ mitgegeben. Die eigene Entscheidung über das eigene Leben. In dieser Zeit war er still und stetig an meiner Seite. Keine Sentimentalitäten. Er hat mich in seine nächsten zwei Produktionen mitgenommen.
Teil einer Handvoll Leute, die Im_flieger im Halbdunkel sitzen, schon beinahe liegen und Daniels Lesung lauschen. Seinen urbanen Aufzeichnungen zu Bachs Goldberg-Variationen.[9] Daniel berührt mit seinen Worten Zwischenräume, holt das Nichtsichtbare hervor, das, worauf der tanzende Körper, der sich selbst nicht als Zentrum manifestieren möchte, hinweisen kann.
Er fehlt.
 
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ich weiß, was ich tue, von Sekunde zu Sekunde, aber ich kenne keine Sekunden mehr. Zeit tropft an mir ab, ich bin ein Teil der kosmischen Drehung, behutsam gehen Kräfte durch mich, ich orchestriere sie, spiele, lenke, lenke um.
 
An der Wand lehnt unscheinbar mein Smartphone und spielt in kaum hörbaren Klängen Glenn Goulds Variationen. (Daniel Aschwanden)[10]
 
 
[1] eels, beautiful freak, 1996, Album aus Bilderwerfer-Zeiten, gehört während Proben, bei gemeinsamen Festen und im Tourbus.
[2] tozomia.net
[3] wienerperspektive.at
[5] Bilderwerfer, inklusive Performancegruppe (1994–2002). Von 1997 bis 2000 Daniel Aschwanden mit Harald Begusch, Carlos Delgado, Sabina Holzer, Elisabeth Löffler, Christian Polster, Cornelia Scheuer. In Zusammenarbeit mit Yosi Wanunu / Toxic Dreams. Zahlreiche Gäste und internationale Performances. Leider ist kein eigenes Archiv von Bilderwerfer im Netz zu finden. Einige Spuren aber unter: elisabethloeffler.com/about-3; cornelia-scheuer.at/projekte.html; dok.at/film/mein-boss-bin-ich.
[6] toxicdreams.at
[7] wienerperspektive.at/Spaces-1
[8] Aus einem E-Mail von Satu Herrala, Performer*in und Kurator*in (FN): „It is incredibly sad to hear the news of Daniel’s sudden passing. What a kind soul and expanded artist, always creating new platforms for artistic and social encounters with endless imagination for spatial and temporal formats … I’m grateful to have met him and to have had an opportunity to work with him. I tried to find the film and pictures I did together with him in Seestadt when it was just a few sand dunes but unfortunately I couldn’t find them anywhere.
I feel very close to the Viennese community these days, even if I’m far away, I share the grief.
I also share two pages from Etel Adnan’s NIGHT.“
[9] imflieger.net/goldberg-365-daniel-aschwanden-ch-at
[10] Zit. nach Daniel Aschwanden, David Ender, Jack Hauser (Hg.), A BOOK IS HERE, Wien 2016.
 
Dieser Text wurde von corpusweb.net beauftragt und erstveröffentlicht.